Reisen

Deutsch-Italienische Kulturbörse in Prato vom 21. bis 23. Juni 2024

Holzkopf? Von wegen!

Das Deutsche Kulturinstitut Prato SI-PO (steht im pratesichen Dialekt für „Yes, we can“) hat mit der VDIG in der toskanischen 190.000-Einwohner-Stadt vom 21. bis 23. Juni dieses Jahres die deutsch-italienische Kulturbörse veranstaltet, die im Zweijahresrhythmus abwechselnd in Deutschland und Italien durchgeführt wird. Prato war die 17. Station.

Vorab: Die Veranstaltung war hervorragend organisiert. Die Präsidentin der SI-PO, Britta von Websky, und Geschäftsführer Peter Schmitz haben mit einem Team aus ehrenamtlichen Helfern und italienischen und deutschen Praktikanten ein interessantes und abwechslungsreiches Programm zusammengestellt und den Teilnehmern und Teilnehmerinnen viele Gelegenheiten zum persönlichen Austausch geboten. Nach Prato waren rund 120 Mitglieder deutsch-italienischer Gesellschaften gekommen, vorwiegend aus dem nordwestdeutschen Raum. Ich habe als Schatzmeisterin die DIG Bielefeld vertreten.

Die Veranstaltung hatte das Leitmotiv „Pinocchio“. SI-PO nennt zwei Gründe dafür: „Erstens ist die Figur des toskanischen Pinocchio auf der ganzen Welt bekannt und nicht nur eine Erzählung für Kinder, zweitens schließt sich die Kultur- und Bildungseinrichtung gerne der Schlussaussage des Buches von Carlo Collodi an: ‚Auch ein Holzkopf kann es schaffen.‘ Holzkopf? Von wegen! Auf die SI-PO bezogen, ist das eine maßlose Untertreibung. Websky, Schmitz & Co. haben Beispielhaftes geleistet!

Eine Ausstellung mit Arbeiten deutscher und italienischer Künstler und Künstlerinnen zum Thema Pinocchio bildete den offiziellen Auftakt der Kulturbörse. Ort des Geschehens war der Sala Biagi der Provinz Prato im Zentrum der Stadt. Es gab höchst bemerkenswerte Arbeiten, oft mit einem Augenzwinkern und einem Schuss Ironie. Die neu gewählte Bürgermeisterin Pratos, Ilaria Bugetti, hieß die Teilnehmer der Kulturbörse herzlich in Ihrer Stadt willkommen. Der persönliche Kontakt über die Grenzen hinweg sei die Basis für eine erfolgreiche Entwicklung Europas, sagte die Bürgermeisterin. „Ich freue mich, dass Prato und die SI-Po ihren Teil dazu beitragen können.“ Auf die „überragende Bedeutung“ ganz konkreter Begegnungen verwies die Deutsche Generalkonsulin Susanne Welter, die eigens für die Kulturbörse aus Mailand angereist war.

Zum Ausklang des Abends gab es in der Chiesa San Francesco in Zusammenarbeit mit UNICEF ein Benefiz-Konzert mit einem Jugendchor, dem Coralchor San Franzesco und dem Organisten Matteo Venturi von der Organo della Pace in Sant’ Anna di Stazzema, der mit seiner Interpretation der Passacaglia von Johann Sebastian Bach begeisterte.

Beim Festakt am Samstagvormittag im Theater Garibaldi überreichte die Vorsitzende der VDIG, Rita Marcon, den diesjährigen Premio Culturale an Alessandra Ballesi-Hansen, Gründerin und Verlegerin des Nonsolo-Verlags Freiburg, die sich sehr um die zeitgenössische italienische Literatur verdient macht. Die unprätentiöse Veranstaltung erhielt durch die Darbietungen des Pianisten Paolo Fissi und der Flötistin Giulia Giannini (Filmmusik aus Le avventure di Pinocchio) und einer bezaubernden Pinocchio-Pantomime der prateser Schauspielerin Maila Ermini eine beschwingt-italienische Note.

Und dann brach die Gruppe zu einem Bus-Ausflug zum Pinocchio-Park und der Villa Collodi mit einem herrlichen Park im 40 Kilometer entfernten Örtchen Collodi auf. Davon haben wir indes wenig gesehen. Unmittelbar nach Ankunft um 13 Uhr nämlich pranzo, Mittagessen. Und das ist in Italien bekanntermaßen das Gegenteil von einem schnellen Imbiss. 150 „Kulturbörsianer“ mit ihren Gastgebern an langen Tischen in der Osteria des Parks erfreuten sich an einem köstlichen Menü: Antipasti misti mit prosciutto di Parma, salame di cinghiale, in Olivenöl eingelegte Zucchini und Paprika, dazu knuspriges Weißbrot; Spaghetti al pomodoro, Maccheroni mit pasta Genovese, sizilianisches Gebäck. Der Espresso wurde gegen 16 Uhr gereicht – nach drei erfüllenden Stunden mit kulinarischen Genüssen und immer temperamentvoller werdenden Gesprächen.

Der Sonntag stand im Zeichen der Ideenbörse im Kreuzgang des Klosters San Domenico, auf der sich unter anderen das Goethe-Institut, verschiedene Jugendaustauschprojekte sowie Verlage präsentierten. Zum Thema Erinnerungskultur referierte in einem Workshop Maren Westermann (DIG Essen) über das von ihr und ihrem Ehemann initiierte Versöhnungsprojekt „Organo della Pace“ nach den Gräueltaten der SS im Zweiten Weltkrieg in Sant’Anna di Stazzema. Im Frühjahr wird Frau Westermann das Projekt in einer Veranstaltung der DIG Bielefeld vorstellen.

Zu den Teilnehmern der Kulturbörse zählte auch unser Mitglied Anne Ehrenhold-Knauf, die als Vorsitzende des Künstlerinnenforums Bielefeld OWL am Stand der VDIG Arbeiten von drei heimischen Künstlerinnen präsentierte. Es gibt über ihren Kontakt zu SI-PO-Geschäftsführer Peter Schmitz erste Überlegungen, zum Weltfrauentag am 8. März 2025 in Prato eine Ausstellung mit Arbeiten von jeweils drei Künstlerinnen aus Bielefeld und Prato im Sala Biagi zu zeigen. Die Schau könnte später auch in Bielefeld präsentiert werden.

Zum Schluss ein paar Sätze zur Gastgeberstadt Prato, rund 40 Kilometer nördlich von Florenz gelegen. Ein Bezug zu Bielefeld: Während bei uns die Bedeutung der Textilindustrie nach und nach abgenommen hat, ist Prato immer noch eine blühende Textilstadt. Bereits im Mittelalter war sie ein bedeutender Handelsplatz mit Wolltextilien, was durch die verkehrsgünstige Lage an der Via Cassia Clodia begünstigt wurde. Daher ziert auch das Denkmal des „Kaufmanns von Prato“, Francesco Datini, die Piazza del Comune.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde Prato als „Lumpenstadt“ bekannt, da man weltweit Alttextilien aufkaufte und wieder aufbereitete: Recycling schon zu einer Zeit, in der dieser Begriff – zum Beispiel in Deutschland – noch so gut wie unbekannt war. In den ersten Nachkriegsjahren schrieb der in Prato geborene Schriftsteller und Journalist Curzio Malaparte: „In Prato endet die Geschichte Italiens und Europas. Alles in Prato, alles in Lumpen.“ Durch ihren Fleiß und ihre Erfahrung mit Wolltextilien haben die Stadtbewohner ihren Reichtum begründet. „Nennen sie sie nicht Lumpen, sie sind viel mehr!“ sei ihr Motto.

In den 1960er und 1970er Jahren kam es zu einem beinah explosionsartigen Wachstum wegen der prosperierenden Textilindustrie. Vor allem durch die arbeitsuchenden Zuwanderer aus den südlichen Regionen Italiens verdoppelte sich die Zahl der Einwohner.

Ab den 1990er Jahren kam es zu einem erneuten sehr starken Zuwanderungsstrom, vor allem aus China. Mittlerweile dominieren chinesische Firmen weite Teile der Textilindustrie. Heute leben rund 30.000 chinesische Einwohner in der Stadt. Im Straßenbild des historischen Stadtkerns sieht man sie kaum. Sie separieren sich in einer Art Chinatown an der Peripherie.

Wie im Textilmuseum, dem Museo del Tessuto, eindrucksvoll dokumentiert wird, steht Prato mit seinen vielen chinesischen Firmen heute sicherlich an einem Scheidepunkt: Will man Luxus produzieren oder billige Massenware? Die Entscheidung wird maßgeblich sein für die Zukunft der Stadt.

Ein Besuch Pratos ist auf jeden Fall empfehlenswert. Eine quirlige Altstadt, wunderschöne Kirchen, aus denen der Dom mit der von dem Bildhauer Donatello geschaffenen Außenkanzel herausragt. Neben dem Museo del Tessuto ist das Zentrum Museo Pecci ein weiteres Glanzlicht. Ein imposantes Gebäude in Form eines Ufos mit der Antenne zum Weltall, geschickt integriert in die alte Industrie-Architektur. In dem Zentrum findet nicht nur die moderne Kunst ihren Raum, es gibt auch übergreifende Kulturveranstaltungen, vor allem mit Jugendlichen der Stadt.

Insomma: bravissimo Prato, bravissimo Si-Po!

Carola Matheisen

Eine Studienreise in die Marken

Morgens um 2:30 Uhr aufstehen, um 4 Uhr am Bahnhof in einen Bus steigen, mit dem Flieger von Düsseldorf nach München und weiter nach Ancona. Dann noch eine Kurzbesichtigung der Stadt und zum Schluss mit dem Bus zum Hotel in die Nähe von Ascoli Piceno!

Vom 14. bis zum 23. Mai konnten 30 Personen an einer von der DIG Bielefeld organisierten Studienreise in die Marken teilnehmen, eine Region Italiens, noch nicht so bekannt wie andere, die es also zu entdecken galt und auf die wir sehr gespannt waren.

Gleich zwei Highlights gab es schon am folgenden Tag: Wir fuhren zuerst nach Loreto, wohin der Sage nach mehrere Engel nach einem längeren Irrflug und mehreren Zwischenlandungen in nicht so einladenden Stätten das Geburtshaus Marias gebracht haben sollen. Über diesem Heiligtum wurde später eine Basilika gebaut, die heute zu den wichtigsten Pilgerstätten Italiens zählt. Am Nachmittag ging zu einem Akkordeonmuseum in Castelfidardo und dann zu einer Firma, die Akkordeons herstellt. Die Besitzerin, eine Hannoveranerin, erzählte uns leidenschaftlich von ihrer Arbeit und den bis zu 8.300 Teilen, aus denen ein Akkordeon bestehen kann. Zum Abschluss gab einer der Reiseteilnehmer zwei Stücke zum Besten. Der Tag wurde mit einem leckeren Essen in einem lokalen Restaurant abgeschlossen.

Am nächsten Tag besichtigten wir Ascoli Piceno mit seinen zahlreichen Sehenswürdigkeiten, darunter einem der schönsten Plätze Italiens, und probierten die berühmten Ulive Ascolane. Später fuhren wir weiter, hoch in die Hügel nach Ripatransone, mit spektakulären Blicken und der schmalsten Gasse Italiens. Den Abschluss bildete eine Weinprobe ganz in der Nähe.

Der 3. Tag führte uns nach Urbisaglia und damit in die römische Antike. Zisternen, ein römisches Theater, ein Tempel mit noch gut erhaltenen Fresken und ein Amphitheater wurden uns gezeigt und von einem engagierten Team erläutert. Wie auch in der Nähe von Loreto (S. Maria a Piè di Chieti) bewunderten wir eine der vielen romanischen Kirchen bzw. Abteien, die in den Marken zu finden sind (z. B. Abbazia di Fiastra). Am Nachmittag brachte uns der Bus nach Fermo mit seiner Piazza del Popolo, dem Palazzo dei Priori und dem Dom und auch hier: riesige römische Zisternen in der „Unterwelt“ der Stadt!

Der folgende Tag zeigte uns ein Naturschauspiel besonderer Art: Die Grotten von Frasassi, in deren größte Höhle der Mailänder Dom passen würde. Vorbei an zahlreichen Stalaktiten und Stalagmiten, die wie Tiere, Menschen oder Gebäude aussahen, machten wir bei kühlen 14 Grad einen Rundgang durch diese erst in den 70er Jahren entdeckten Grotten. Anschließend ging die Fahrt nach Sassoferrato, das antike Sentinum. Doch von der Stadt sahen wir nichts, denn ein kundiger Einwohner fesselte uns so lange mit seinem Vortrag in der Abbazia di Santa Croce, dass dafür keine Zeit mehr blieb.

Schon war das Bergfest gekommen. Auf dem Weg zu unserem zweiten Hotel in Pesaro machen wir Halt im kleinen Örtchen Morro d’Alba, in dem an drei Tagen ein sog. Cantamaggio stattfand, ein allgemeines Musizieren und Singen auf den Straßen und dem kleinen Platz der Stadt, um den Mai zu feiern. Bei einem sehr guten Mittagessen, das sich locker über drei Stunden hinzog, wurde weiter Musik gemacht, meist auf dem Akkordeon, gesungen und getanzt: jung und alt, Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten gemeinsam und voller Leidenschaft.

Der Montag brachte uns nach Ravenna, in die benachbarte Emilia Romagna. Der Besuch der Basilica San Vitale, der Basilica Sant’Apollinare und des Mausoleums der Galla Placida mit ihren Mosaiken beeindruckten uns ebenso sehr wie die kundigen Erklärungen unserer Stadtführerin darüber, wie die kunstvollen Mosaiken praktisch hergestellt wurden. Am freien Nachmittag konnte jeder nach Herzenslust die Stadt ansehen, einkaufen oder ein Museum besichtigen.

Fano und Pesaro lockten uns zu Stadtrundgängen und zu einer Moretta, einem mit Weinbrand, Anisschnaps, Rum und Rohrzucker „korrigiertem“ Espresso, am Mittag und einem leckeren Eis auf der Piazza del Popolo in Pesaro am Nachmittag. Wie an jedem Tag wurden wir von einer kundigen Stadtführerin begleitet, die uns u. a. das Rossini-Theater und sein Wohnhaus zeigte.

Der vorletzte Tag unserer Reise war dem wunderschönen Urbino gewidmet. Wir besichtigten ausgiebig den Palazzo Ducale des Herrn von Montefeltro. Im hier angesiedelten Nationalmuseum der Marken, wie auch schon vorher in Kirchen, Abteien und Museen, begegneten uns die Werke berühmter Künstler, die in den Marken gelebt und gearbeitet haben: unter ihnen Rafael und sein Lehrer Perugino, Lorenzo Lotto, Carlo Lucarelli und Piero della Francesca. Danach genossen wir die Freizeit und schlenderten durch die kleinen aber steilen Gassen der Stadt. Der Ausblick auf die sanften Hügel der Marken ist atemberaubend. Den Abschluss bildet ein mehrgängiges Essen in einem Restaurant in Pesaro, während draußen die Stadt im Regen versank.

Ja, die Zeit in den Marken ist um. Wir verließen diese Region Italiens sehr beeindruckt: Auf jeden Fall ist sie die Reise wert gewesen! Der Bus brachte uns zum Flughafen Ancona, und von dort ging es den umgekehrten Weg über München und Düsseldorf wieder zurück nach Bielefeld, wo wir alle wohlbehalten ankamen.

(c) aller Fotos: J. Adam